„Integration der Leute ist wichtiger als eine Meisterschaft!“

Fuhlsbüttel-Coach Gerd Mewes im Gespräch

14. April 2016, 10:10 Uhr

„Ich beurteile jeden Häftling gleich“

Foto: HFV!

Im Gegensatz zu normalen Liga-Mannschaften kann Mewes nicht eigenständig Spieler rekrutieren, sondern ist darauf angewiesen und froh, überhaupt genügend Mann zusammenzubekommen, wie er sagt. „Es läuft nach dem Prinzip der Freiwilligkeit ab. Wenn ein Gefangener einsitzt, entscheidet dieser selbst, welchen Aktivitäten er sich zuwenden will. Derjenige, der in die Fußballabteilung kommt, wird von mir so beurteilt, wie jeder andere Häftling auch – ohne dass ich dabei einen Blick auf das Straftatenregister oder den Grund der Verurteilung eingehe. Für mich zählt das Können, wie ich ihn in die Mannschaft integrieren und ob man mit dieser Person erfolgreich sein kann.“ Der 72-Jährige will seinen Häftlingen aber nicht nur ein guter Trainer sein, sondern auch „versuchen, für diese jungen Menschen ein Stück weit im Voraus zu denken und etwas vorweg zu nehmen. Ich stelle mir schon die Frage und versuche einzuschätzen, ob es für ihn draußen von Neuem losgeht oder inwieweit man ihn auf das Leben danach vorbereiten muss.“

„Das Bild der Mannschaft kann sich von heute auf morgen komplett verändern“

Viele Jahre lang spielte Eintracht Fuhlsbüttel außer Konkurrenz. Seit 2008 nimmt man jedoch offiziell am Spielbetrieb des Hamburger Fußball-Verbandes teil – nicht zuletzt ein Verdienst von Mewes. „Ich habe sozusagen einen Kontrakt mit dem HFV geschlossen, dass die Punkte bis zum Saisonende zählen – auch über Aufstieg der Mitkonkurrenten bestimmen –, aber dass wir niemals den Anspruch erheben werden, aufzusteigen zu wollen. Das war auch nicht mein Ziel, sondern mir geht es vielmehr darum, wie ich diese ‚gestrandeten Menschen‘ zu einem anderen Ufer bringen kann. Ich muss die Meisterschaft nicht für mich erringen, das ist nicht mein Ziel. Ich möchte die Spieler zu einer Einheit zusammenfügen, die dann gemeinsam dieses Erfolgserlebnis haben kann, um mit diesem positiven Gefühl auch quasi eine neue Wirklichkeit zu bekommen – also auch für einen anderen Verein interessant zu sein.“ Ein Aufstieg sei für Mewes überhaupt kein Thema, „weil sich das Bild der Mannschaft von heute auf morgen total verändern kann. Eine Kontinuität ist hier überhaupt nicht möglich. Es kann sein, dass ich die Mannschaft während einer Saison zweimal runderneuern muss. Es ist aber auch möglich, dass ich Glück habe und mit einer relativ stabilen und erfolgreichen Stammmannschaft über zwei oder auch mal drei Spielzeiten komme. Das ist eben auch ein Stück weit die Herausforderung, die kenntlich macht, weshalb ich überhaupt so lange dabei bin.“

„Viele Spieler haben schon mal Höhenluft geschnuppert“

Foto: KBS-Picture.de

In der Saison 2011/2012 feierte Fuhlsbüttel nicht nur die Meisterschaft, sondern brach auch sämtliche Rekorde. „Die Mannschaft war so gut wie nie. Wir haben wir mit riesigem Abstand den Titel errungen und von allen Amateurmannschaften in Hamburg die meisten Tore geschossen. Das war schon eine herausragende und wahrscheinlich nicht mehr zu wiederholende Leistung“, schwärmt Mewes noch von jener Zeit und weiß im selben Atemzug, dass dies nicht selbstverständlich ist. „Es sind viele Leute dabei, die noch nie etwas von Taktik oder Spieldisziplin gehört haben. Die machen das nur, weil sie ihre Gefangenenzeit mit ein bisschen Bewegung überbücken möchte. Und ich als Trainer brauche ja auch eine gewisse Leistungsmotivation von jedem Spieler, damit es auch erfolgreich ist. Ich kann niemanden mit einem zusammengewürfelten Haufen, der alles haushoch verliert, für diese Sache begeistern.“ Nichtsdestotrotz seien schon „Jungs dabei gewesen, die mal Höhenluft geschnuppert haben“, so Mewes über den einen oder anderen ehemaligen höherklassigen Spieler. „Diese Leute sind für mich natürlich Gold wert. Das sind Führungsspieler, sie ziehen andere Jungs mit.“ Mit dem „Status-Wechsel“ im Jahr 2008 – nun auch offiziell Teil des Spielbetriebs in Hamburg zu sein –, ist auch der Stellenwert gestiegen. „Der Status davor bedeutete im Prinzip, dass die gegnerischen Mannschaften oftmals irgendwelche Betreuer haben mitspielen lassen oder gar keine Lust hatten, am Sonntagmorgen so früh, anzutreten. Es kam also häufig vor, dass sowohl Gegner als auch Schiedsrichter gar nicht erst kamen. Deshalb zähle ich die errungenen Meisterschaften in den Jahren davor überhaupt nicht mit. Aber für mich sind diese sowieso nebensächlich. Mir ist die Integration der Leute nach ihrer Haftstrafe wichtiger als eine Meisterschaft!“