Landesliga Hansa

„Gänsehaut und Tränen“: Der verrückte Bilderbuch-Aufstieg des HSC…

21. Juni 2023, 14:55 Uhr

Die Väter des HSC-Erfolges: Chefcoach Alexander Reckewell (Mi.) und seine kongenialen Partner Cemil Yakut (li.) und Daniel Michaelis. Foto: privat

Als er im Sommer 2018 zum haarscharf vor dem Absturz in die Kreisklasse vorbeigeschrammten Harburger SC zurückkehrte, wollte Alexander Reckewell beim Traditionsverein „den Spaß am Fußball zurückbringen“. Der neue Chefcoach, der zwischen 2012 und 2014 schon einmal beim HSC tätig war, nahm die Aufgabe sehr ernst – und feierte direkt im ersten Jahr als Vize-Meister den Aufstieg in die Bezirksliga. Dort etablierte man sich nicht nur schnell, sondern avancierte in der zweiten Saison auch gleich zu einem echten Aufstiegsanwärter. Nach vier Spielen führte man das Tableau an, ehe der Corona-bedingte Abbruch folgte. „Wir haben fünf, sechs Monate lang hart gearbeitet und trainiert. Das war schon ein herber Schlag für uns“, blickt Reckewell auf die verpasste Aufstiegschance zurück.

Kein Wunder also, dass er nach einem dritten Platz in der darauffolgenden Spielzeit und der Vize-Meisterschaft in der gerade zu Ende gegangenen Serie nun „irgendwo auch von ausgleichender Gerechtigkeit“ spricht. Denn: Der Harburger SC ist nun auch ganz offiziell ein Landesligist! „Man spricht ja immer vom Fußballgott. Und wenn es den tatsächlich gibt, dann war er jetzt mal auf unserer Seite“, strahlt Reckewell noch immer über das ganze Gesicht. Wochenlang musste man bangen und zittern, auf einen Aufstieg des ETV in die Regionalliga, den Klassenerhalt von St. Pauli II in eben jener Spielklasse – und zusätzlich noch auf einen etwaigen Rückzieher eines Ober- oder Landesligisten hoffen. „Man hat zwar von dem möglichen Neustart des TuS Osdorf in der Bezirksliga gehört. Aber es war halt lange Zeit nicht klar, ob das auch so kommt.“

"Ich habe immer dran geglaubt"

Mit der Verpflichtung von Sascha de la Cuesta (2. v. li.), der in 21 Spielen 13 Tore beisteuerte, ist dem HSC im letzten Sommer ein echter Coup gelungen. Foto: privat

Ein Anruf vom Hamburger Fußball-Verband – noch vor Veröffentlichung der Klassen- und Staffeleinteilungen – besiegelte schließlich das Glück der Harburger. „Da war es dann auch für uns endlich offiziell“, jubelt Reckewell, der mit seinen Jungs noch einen kurzfristigen „Malle-Trip“ plante. „Aber das war dann doch zu spontan. Jetzt werden wir das am 22.07. mit einer riesigen Feier bei uns auf der Anlage nachholen!“

Mit Altona 93 II hatte der HSC einen „ganz harten Konkurrenten“, der auch „davon profitierte, auf Hilfe aus der Liga-Mannschaft zurückgreifen zu können“, so der 41-Jährige. „Wir wussten, dass das sehr schwer wird. Aber wir hatten eine Chance auf den zweiten Platz – und ich habe auch immer dran geglaubt.“ Nicht nur daran, Vize-Meister werden zu können, sondern auch, dass der zweite Platz zum Aufstieg reichen könnte. Denn: „Ich habe den Jungs immer gesagt, dass es in der Vergangenheit genügend Beispiele gibt von Mannschaften, die sich kurzfristig noch zurückgezogen haben. Auch, als viele auf uns zukamen und meinten, dass wir doch eh nicht mehr Erster werden, habe ich immer gesagt: ‚Das ist mir völlig egal – wir wollen den zweiten Platz haben!‘“

"Kriege Gänsehaut und mir kommen fast die Tränen..."

Es entwickelte sich ein echtes Herzschlagfinale, das in einem Bilderbuch-Finish aus Sicht des HSC endete. Drei Spieltage vor Schluss gab es gegen „Kellerkind“ SV Wilhelmsburg „einen richtigen Schuss vor den Bug“, wie Reckewell die 1:3-Pleite bezeichnete. Der zweite Platz geriet plötzlich in große Gefahr, weil der FC Teutonia 05 II dadurch an die Harburger heranrückte. Und der Spielplan wollte es so, dass es im vorletzten Saisonspiel zum direkten Duell kam. „Wir haben zwei absolute Geschenke verteilt, lagen zur Halbzeit mit 0:2 zurück – und ich kriege nach wie vor Gänsehaut und mir kommen fast die Tränen, wenn ich daran denke, was in der Pause abging.“

Furioses Comeback nach 0:3-Rückstand gegen den Widersacher

Javad Akbari ging den Weg von Anfang an mit, führte die Mannschaft im letzten Spiel als Kapitän aufs Feld - und beendet nun seine Laufbahn. Foto: privat

Was Reckewell damit meint? Den enormen Zusammenhalt! Statt Schuldzuweisungen wurde sich gegenseitig aufgebaut und gepusht. Dabei war der Chefcoach mächtig angefressen, wie er heute gesteht: „Ich war so wütend und enttäuscht, dass ich mich erstmal zurückziehen musste.“ Trainer-Partner Cemil Yakut und Sascha de la Cuesta, einer der Väter des Erfolgs, mussten Reckewell in die Kabine beordern. Die ersten Worte: „Ich habe gesagt, dass wir uns solche Fehler nicht mehr erlauben können. Wir müssen rausgehen und das Ding noch drehen!“ Der HSC ging raus und probierte alles – doch es folgte die nächste kalte Dusche: Das 0:3.

Aber: Man gab sich nicht geschlagen, warf alles in die Waagschale – und was dann geschah, „das war einfach unglaublich“, treibt es Reckewell noch immer einen Schauer über den Rücken, wenn er darüber spricht. Sein HSC drehte die Partie komplett und führte auf einmal gegen den direkten Konkurrenten mit 4:3. Zwar gelang der Regionalliga-Reserve von der Kreuzkirche kurz vor Ultimo noch der 4:4-Ausgleichstreffer – aber: „Dieser eine Punkt war für uns ja so immens wichtig und zwischenzeitlich in ganz weiter Ferne!“ Das Resultat hinterließ scheinbar auch bei T05 II Spuren. Denn in der darauffolgenden Partie gegen den SC Sternschanze setzte es eine 0:3-Heimniederlage. Somit kam es am letzten Spieltag zum ultimativen Showdown.

Ex-Zöglinge verhelfen Reckewell zum Aufstieg

Der HSC empfing Schlusslicht St. Pauli IV, tat sich lange enorm schwer, bog aber nach der Pause auf die Siegerstraße ab, ehe Keeper Koray Candan einen Strafstoß parierte – und der 3:1-Sieg nach zehnminütiger Nachspielzeit über die Runden gerettet wurde. Teutonia 05 II gastierte beim FC Süderelbe II und durfte nicht gewinnen. „Oliver Jekutsch ist ein ehemaliger Spieler von mir und war Co-Trainer bei Süderelbe II. Ich habe ihm gesagt: ‚Mach‘ deine Jungs heiß – ich schmeiße euch da auch 20 Kisten rein.‘ Und vielleicht schaffen wir noch das kleine Wunder vom Rabenstein.“ Doch damit nicht genug. Im Tor der Süderelber: Der 49-jährige Marko Celko. „Er ist mein alter Torwart aus Altenwerder“, berichtet Reckewell. Und trotz zwischenzeitlich doppelter Unterzahl holte der Außenseiter gegen den Vize-Meisterschafts-Anwärter tatsächlich ein 1:1-Unentschieden!

Leistungsträger bleiben - Neuzugänge im Anmarsch

Das Trainerteam des Landesliga-Aufsteigers begrüßt seine fünf Neuzugänge. "Ein, zwei Gespräche stehen noch aus", verrät Reckewell. Foto: privat

„Du freust dich, kannst diese Freude aber noch nicht so rauslassen, wie du eigentlich möchtest, weil du noch nicht weißt, wozu das eventuell reicht.“ Das angesprochene Bilderbuch-Finish machte schließlich Javad Akbari perfekt. „Er ist von Anfang an dabei und hat die Mannschaft in seinem letzten Spiel als Kapitän aufs Feld geführt“, muss der Übungsleiter noch immer mit seinen Emotionen kämpfen. Akbari wird seine „Buffer“ an den Nagel hängen und in die Alte Herren wechseln. Gleiches gilt für Phillip Kaiser. Auch Marko Sumic, Amer Hosseini (beide Ziel unbekannt) sowie Steven Treder und Daniel Kovacevic (beide pausieren) werden das Unterfangen „Landesliga“ nicht mit in Angriff nehmen.

Dafür haben sämtliche Leistungsträger wie Sascha de la Cuesta, Top-Torschütze Mümin Mus oder auch Markus Walek für die kommende Spielzeit zugesagt. Neu dazu stoßen werden Kenny Steffens (FTSV Altenwerder), Vincent Bürger, Andreas Aschendorf (beide Harburger TB), Endrit Kameraj (Klub Kosova) und Christopher Pries (kommt aus Kiel). Die Zeit der vielen Glückwünsche ist nun vorbei. In einer „knackigen Vorbereitung“ will man sich für die höhere Spielklasse wappnen: „Wir haben bisher schon so viel investiert – und das werden wir auch weiterhin tun. Wichtig ist, dass die Säulen bleiben. Die Neuen werden uns mit ihrer Landesliga-Erfahrung auch verstärken und weiterhelfen. Wir sind hochmotiviert und freuen uns!“

"Es geht für uns ganz klar um den Klassenerhalt"

Auch auf und über die Einteilung in die Hansa-Staffel. Obwohl man in der Hammonia gegen Altenwerder oder auch HNT zwei Derbys gehabt hätte. „Wir sind froh, dass wir in der Landesliga sind – egal in welcher Staffel“, sieht Reckewell auch in der Hammonia keine „echten Derbys. Das wären für mich Spiele gegen den HTB oder Kosova gewesen. Beide sind aber nicht mehr da“, ist man einfach nur glücklich darüber, den Sprung in die Landesliga geschafft zu haben. Was die Zielsetzung angeht, entgegnet der Aufstiegscoach: „Man muss Realist sein: Es geht für uns ganz klar um den Klassenerhalt und darum, so schnell wie möglich 35 Punkte holen – dann denke ich, sollte das reichen.“

Autor: Dennis Kormanjos