Oberliga

„Der liebe Gott und ‚Melle‘ haben heute ganz klar auf unserer Seite gestanden!“

20. März 2024, 10:06 Uhr

René Melzer (re.) kommt aus seinem Tor geeilt, verkürzt den Winkel - und pariert glänzend gegen Can Kömürcü. Foto: noveski.com

Der bei Gegnern so gefürchtete Kiesbarg hat den Nimbus verloren und den Mythos von einst deutlich eingebüßt. Der letzte Heimsieg für den eigentlich als Macht vor eigener Kulisse bekannten FC Süderelbe datiert vom 29. September 2023 (6:2 gegen den FC Alsterbrüder). Fast ein halbes Jahr ist das inzwischen her! Und generell befinden sich die „Kiesbargler“ nun schon seit geraumer Zeit in einer erheblichen Ergebniskrise. Sämtliche sechs Liga-Spiele im neuen Jahr konnten nicht gewonnen werden. In der Nachholpartie gegen den Tabellendritten aus Niendorf (alle Highlights im LIVE-Ticker) musste der FCS zudem auf den Rot-gesperrten Cheftrainer Stefan Arlt verzichten. Zumindest ein Stück weit. Zwar hielt sich Arlt komplett im Hintergrund und überließ seinen Assistenten Florin Tirt sowie Heiko Klemme das „In-Game-Coaching“, nahm aber direkt hinter der Bande an der Trainerbank Platz – und hatte alles fest im Blick.

Erolind Krasniqi (li.) nimmt Maß - während Lennart Merkle (Mi.) versucht, den Schuss noch zu blocken. Das Leder klatscht an die Latte. Foto: noveski.com

„Männer, volle Überzeugung jetzt! Kommt!“, platzte es in der 95. Spielminute aus dem ansonsten zurückhaltenden Arlt heraus, als sein Team die x-te Ecke zugesprochen bekam und doch nochmal die Chance auf den Lucky Punch hatte. Aber irgendwie war es bezeichnend, dass die Hereingabe von Erolind Krasniqi im Toraus landete. Schluss! „Ich werde jetzt nicht sagen, was wir vorhatten. Aber man kann davon ausgehen, dass wir es einen Tick anders machen wollten“, so Arlt, der anfügte: „Bis auf zwei, drei Ecken waren die zumeist schon da, wo wir sie haben wollten. Aber ich denke, unsere Jungs waren da etwas zu übermotiviert und standen oft schon da, wo man mit Anlauf hätte hinkommen müssen. Da darf dann schon auch mal was aufs Tor kommen.“ 

Und auch Ali Farhadi konstatierte: „Die hatten ja gefühlt 40 Ecken. Nicht eine davon ist reingegangen“, so der Niendorf-Coach, der seinen Mannen im anschließenden Teamkreis mit einem Augenzwinkern auf den Weg gab: „Am liebsten hätte ich schon am Donnerstag gegen Altona gespielt.“ Der Konter von Youngster Falk Gross: „Bitte nicht!“

"Weiß nicht, wer das zusammengewürfelt hat"

Nach seiner Roten Karte aus dem Sasel-Spiel nahm Süderelbe-Trainer Stefan Arlt (Mi.) hinter der Bande Platz. Foto: noveski.com

Der Grund dafür ist klar: Die Strapazen der letzten Tage haben Spuren hinterlassen. „Man muss ganz klar sagen, dass das mit der Ansetzung sehr unglücklich gelaufen ist“, nahm Farhadi kein Blatt vor den Mund. „Ich weiß nicht, wer das zusammengewürfelt hat. Aber uns am Sonntag beim ETSV (3:3, Anm. d. Red.) und dann schon wieder am Dienstag bei Süderelbe anzusetzen, das ist einfach nur sehr unglücklich. Wir krakeln uns da so durch und meckern in uns rein – aber das war heute echt hart. Deswegen ist das 0:0 wirklich krass“, lobte der NTSV-Coach sein Team trotz der Nullnummer – und fügte auf Nachfrage an: „Ja, wir hätten gerne schon am Donnerstag gegen Altona gespielt, weil ich der Meinung bin, dass unsere Truppe auch das hinkriegt.“

"Nach zehn Minuten dachte ich, wir werden überrollt"

Mustafa Ercetin scheitert mit seiner artistischen Einlage und bugsiert das Spielgerät nicht weit über das Gebälk. Foto: noveski.com

Nun hat man aber zumindest bis zum Sonntag Zeit, wenn der Primus beim kräftemäßig angeschlagenen Tabellendritten aufschlägt. „Nach zehn Minuten habe ich gedacht: Das war‘s, wir werden überrollt und Süderelbe nimmt uns auseinander. Aber man muss sagen, dass die nach einer Zeit relativ planlos gewirkt haben – und das war dann unser Moment. Ich habe gehofft, dass wir das durch ein, zwei Konter hinkriegen – und die hatten wir auch. Leider haben wir keinen reingemacht.“ Trotz dessen: „Hut ab vor der Leistung, die Niendorf gebracht hat – das war Bombe“, lobhudelte er seine Elf – und bilanzierte: „Der liebe Gott und ‚Melle‘ haben heute ganz klar auf unserer Seite gestanden!“

Süderelbe scheitert an Melzer - oder sich selbst

Der aufgerückte Süderelbe-Kapitän Nico Reinecke (Mi.) scheitert aus kürzester Distanz an der linken Hand von NTSV-Keeper René Melzer. Foto: noveski.com

Der Torwart der „Sachsenwegler“ strahlte nicht nur eine ungemeine Ruhe aus, sondern war auch stets auf dem Posten, wenn er gebraucht wurde. Ob gegen den Kopfball von Can Kömürcü aus kurzer Distanz (15.), den frei vor ihm lauernden Nico Reinecke (49.) oder die Fußspitze von Marius Wilms (52.) – auf René Melzer war Verlass. Und wenn er mal nicht eingreifen konnte oder musste, dann fehlte dem FCS das notwendige Abschlussglück. Krasniqi zielte in aussichtsreicher Position vorbei (30.) und traf die Latte (37.), Kömürcü nickte aus fünf Metern daneben (52.), Davis Boateng jagte einen Volley über den Kasten (70.) und verfehlte per Schlenzer das lange Toreck nur haarscharf (86.), Mustafa Ercetin verpasste per Seitfallzieher (76.), ehe Daniel Brückner einen Ball gerade noch vor dem Überschreiten der Torlinie retten konnte (85.).

"Wir haben alles dafür getan, um ein Tor zu schießen"

Es sollte einfach nicht sein. „Ich hab‘s mir schon so vorgestellt. Niendorf hat ja einen ganz trockenen Spielstil, der nicht unbedingt von Emotionen geprägt ist. Die musst du in Bewegung bringen. Aber die stehen gut. Uns war aber auch klar: Wenn wir in etwa an die Leistung der letzten Spiele anknüpfen, dass wir dann zumindest die Möglichkeit haben werden, Niendorf in die Knie zu zwingen. Die Chance hatten wir auch, müssen nur das Tor machen“, haderte Arlt abermals mit der Chancenverwertung. „Wenn man das Spiel sieht, dann denke ich, dass Niendorf bei Kontern immer wieder brandgefährlich war und wir alles in die Waagschale werfen mussten, um das wegzuverteidigen. Das haben die Jungs gemacht. Und wir haben alles dafür getan, um ein Tor zu schießen. Gegen Sasel schießen wir drei Tore, kriegen aber auch drei. Heute hätte uns ein Tor gereicht, um als Sieger vom Platz zu gehen. Aber wir gewinnen jetzt bei Alsterbrüder!“, versprach Arlt seinen Jungs auch im Kreis.

Handgemänge nach Abpfiff

Daniel Brückner (re.) rettet vor der Linie und verhindert den Einschlag. Foto: noveski.com

Nach dem „0:0 der besseren Sorte“, so Arlt, ging es auf dem Platz noch hoch her. Can Kömürcü und Noha Katanga wollten sich fast an die Wäsche gehen, mussten von Teamkollegen, Verantwortlichen und Ordnern auseinandergehalten werden. Auch beim Gang in die Kabinen war das Thema noch nicht erledigt. „Da sind wahrscheinlich wieder ein paar Frustrierte aufeinandergetroffen. Das ist Kinderkram. Bei einigen ist da wohl zu viel Dampf drin“, wollte Farhadi die Auseinandersetzung nicht allzu hoch hängen. Hoch hängen kann und muss man inzwischen aber die Misere am Kiesbarg vom FCS. Das Warten auf einen „Dreier“ hält weiter an.

"Wenn der Anpfiff ertönt, denkt da keiner mehr dran"

Unmittelbar nach dem Schlusspfiff wurde es auf einmal emotional: Noha Katanga (re.) und Can Kömürcü (Mi., verdeckt) gerieten verbal aneinander. Foto: noveski.com

„Was mich beschäftigt, beschäftigt auch die Mannschaft. Wir würden natürlich gerne unsere Heimspiele gewinnen. Und man sieht auch: Wir tun alles dafür. Aber im Moment ist es einfach so. Ich habe den Jungs auch schon gesagt, dass es immer so ein Thema ist: Was man fühlt und was will ich im Kopf? Alles, was du fühlst, musst du vor dem Spiel ablegen – und Spaß am Fußball haben. Vorher sind die Gedanken sicherlich da, aber ich glaube nicht, dass da noch einer dran denkt, wenn der Anpfiff ertönt. Andererseits ist es im Fußball auch so: Wenn man mal ein Spiel gewinnt, kriegt man auch so etwas wie eine Selbstverständlichkeit rein. Die fehlt uns schon“, gestand Arlt – und kündigte im nächsten Spiel den ersten Sieg des Jahres 2024 an. Ausgerechnet gegen die Alsterbrüder. Da war doch was...

Autor: Dennis Kormanjos

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