28. Juli 1943: Ausgelöscht vom „Feuersturm“

Die Geschichte des Rothenburgsorter FK von 1908 / von Uwe Wetzner

25. Mai 2013, 09:24 Uhr

1928 als hamburgischer Erstligist: Jentsch (stehend v. l.), Appel 1, von Issendorf, Kirchhoff, Abel, Winkelmann, Thode 2, Thode 1. Hockend v. l.: Schuldt, Appel 2, Dehn. Foto: Archiv Wetzner

Es ist ungewöhnlich heiß an diesem 28. Juli 1943, wie schon den ganzen Monat, um 18 Uhr noch 30 Grad. Obwohl der Hamburger Westen erst vor zwei Tagen Ziel heftiger Bombenangriffe gewesen ist, füllen sich Lokale und Cafés in Hamburgs Osten nach und nach. Getrunken wird auf der Billerhuder Insel oder auf der Flanier- und Einkaufsmeile Billhorner Röhrendamm vorzugsweise „Lütt un Lütt“, Bier und Kümmel für 15 Pfennig die Lage.

An der „zweiten Mönckebergstraße“ mit ihren Läden, Kinos und Tanzsälen leben vorwiegend Hafenarbeiter, niedere Beamte, Seeleute und kleine Geschäftsleute.

Aus diesen gesellschaftlichen Schichten kommen die Mitglieder des am 15. Februar 1908 gegründeten Rothenburgsorter Fußball-Klub. Rothenburgsort ist zu dieser Zeit ein dicht bevölkerter Arbeiterstadtteil, seine Hauptstraße Billhorner Röhrendamm ist um die Jahrhundertwende mit mehr als 9.000 Bewohnern die bevölkerungsreichste Straße Hamburgs gewesen.

Das proletarische Milieu hier ist sehr klassenbewusst, überwiegend sozialdemokratisch, später kommunistisch orientiert. Dass der Platzhirsch im Fußballrevier, der 1906 gegründete SC Lorbeer, zur Arbeitersportbewegung gehört, ist somit keine Überraschung. Deswegen ist es auch nicht ganz einfach, einen bürgerlichen Fußballverein zu gründen, zumal kurz darauf am 2.August 1908 mit dem SK Komet ein weiterer Verein ins Leben gerufen wird. Es dauert bis zum 1.Auguat 1910, ehe es dem RFK gelingt, mit dem Gastwirt Carl Hansen einen Pachtvertrag über jährlich 180 Mark abzuschließen. Auf dem Gelände „Neun Linden“ wird für 300 Mark der erste eigene Sportplatz hergerichtet. Nachdem 1909 das erste Ersuchen abgelehnt worden ist, erbarmt sich der Norddeutsche Fußball-Verband am 26.April 1910 und nimmt den Neuling in seine Reihen auf. Zur Jahreswende 1911 freut sich der Verein über 125 Mitglieder, die neben dem Kicken noch Leichtathletik betreiben.

Fusion von RFK mit Spiel und Sport Rothenburgsort

RFK – Altona 93 (2:3): 4.000 Zuschauer sehen auf dem Grandplatz Traunsberg, wie am 11.Oktober 1936 das Netzgestänge nach einem Treffer des AFC zusammenbricht. Foto: „Fußball-Woche“

Aus dem eher planlosen Hämmern gegen den Ball wird schnell ein mehr oder weniger gepflegter Kick, der die erste Mannschaft des RFK 1918 in Hamburgs oberste Liga, die neun Mannschaften umfassende A-Klasse führt. Bis 1929 schafft es die Ligamannschaft der Rot-Weißen, stets zu den acht oder neun Teams zu gehören, die die beiden Staffeln von Hamburgs höchster Spielklassen bilden. Als 1929 die zweigeteilte Norddeutsche Oberliga eingeführt wird, gehört der RFK neben dem HSV, der SV Polizei, Union 03, dem ETV und Altona 93, dem SC Victoria und Unitas 02, St.Pauli Sport und Ottensen 07 zu den zehn Klubs der „Groß-Hamburg“-Staffel. In der „Nordhannover“-Staffel treten neun Mannschaften aus Harburg, Lüneburg und Uelzen gegeneinander an. Der RFK kann allerdings nicht mithalten und steigt als Tabellenletzter mit 9:27 Punkten und 28:47 Toren ab, der Vorletzte Ottensen schafft mit 10:26 Punkten den Klassenerhalt.

Gespielt wird zu dieser Zeit bereits auf dem Sportplatz an der Großmannstraße. 1921 hat sich auf der um die Jahrhundertwende aufgespülten Billerhuder Insel eine Gartenkolonie gegründet. Der Sportplatz „Neun Linden“ muss den Schrebergärten weichen. Seit 1926 – in diesem Jahr wird auch eine Frauen-Abteilung gegründet – wird ebenfalls auf dem Sportplatz Großmannstraße gespielt, 1928 erfolgt der endgültige Umzug. 1930 fusioniert der RFK mit Spiel und Sport Rothenburgsort, einem im Juli 1924 aus dem Rothenburgsorter SV und der Rothenburgsorter Spielvereinigung hervorgegangenen neuen Klub.

Lokalrivale Komet 08 schafft Sprung in die Gauliga

Aus dem Fußballverein wird nach und nach ein Sportverein, in dem 1933 insgesamt 500 Mitglieder auch noch Handball, Faustball und Tischtennis spielen, Leichtathletik und Gymnastik betreiben und boxen. Zu dieser Zeit ist es noch gang und gäbe und gewollt, dass Fußballer noch andere Sportarten betreiben, um einer einseitigen Ausbildung des Körpers entgegenzuwirken. Die in der Turnhalle Reginenstraße beheimatete Box-Abteilung bringt mit Alfred Kretschmar sogar einen hamburgischen Meister im Leichtgewicht hervor.

Nach ihrer „Machtergreifung“ haben sich die Nazis 1933 zügig daran gemacht, den deutschen Fußball durch die Einführung von 16 obersten Staffeln, den „Gauligen“ zu zentralisieren. 1936 gelingt dem RFK der Aufstieg in die „Gauliga Nordmark“. Die Rothenburgsorter sind neben dem HSV, Holstein Kiel, Victoria, dem FC St.Pauli und dem ETV, Polizei und Phönix Lübeck, Altona 93 und dem späteren Schlusslicht SC Sperber einer von zehn hamburgische Erstligisten. Allerdings nur für ein Spieljahr. 6:30 Punkte und 37:66 Tore reichen nur zum vorletzten Platz. Gleichzeitig schafft der Lokalrivale Komet 08 aus Hammerbrook den Sprung in die „Gauliga Nordmark“ und hält sich dort bis zu seinem Abstieg 1940. Bereits jetzt werden die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auch im Spielbetrieb immer deutlicher spürbar. Die ersten Vereine bekommen für ihre Fußballmannschaften nicht mehr genügend Männer zusammen. Fußballstiefel kommen nur noch ausnahmsweise an die Füße, es dominieren die Soldatenstiefel. Die ersten aus zwei oder drei Vereinen gebildeten „Kriegsspielgemeinschaften“ entstehen.

„Feuersturm“ setzt ein

Die zweite Ausgabe der ersten Vereinszeitung aus dem Jahre 1911. Abbildung: Archiv Wetzner

Als sich in der Nacht zum 28. Juli 1943 die mehr als 700 englischen Bomber Hamburg nähern, hat der RFK seine letzte eigenständige Saison gerade mit Rang zwei in der Hammonia-Staffel abgeschlossen. 23:13 Punkte und 56:25 Tore haben nicht gereicht, um dem Nachbarn Komet 08 (25:11) die Meisterschaft in der zweigeteilten hamburgischen 2.Liga streitig machen zu können. Aber mit dem fortdauernden Krieg werden die spielfähigen Fußballer immer weniger. Sie sind nämlich auch wehrfähig und müssen an den verschiedenen Fronten kämpfen. Um weiterhin am Spielbetrieb teilnehmen zu können, bilden die Rothenburgsorter eine „Kriegsspielgemeinschaft“ mit der „Hamburger Hochbahn“ aus Eimsbüttel. Aber die vorübergehend eingebüßte Eigenständigkeit sollte im Vergleich zu dem, was am Himmel mit dumpfem Grollen und Brummen auf Hamburgs Osten zuflog, nicht der Rede wert sein.

Mitten in der Arbeitswoche, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ist das urbane Leben schon um 1.02 längst wieder zur Ruhe gekommen. In diesem Augenblick schlägt in der Nähe der Wendenstraße die erste Brandbombe der „Operation Gomorrha“ auf. Es dauert nur eine knappe halbe Stunde und in den dicht besiedelten Arbeiterstadtteilen Hammerbrook und Rothenburgsort sowie im benachbarten Hamm und Borgfelde stehen Tausende von Wohnhäusern in Flammen. Gegen 1:20 Uhr setzt der „Feuersturm“ ein, ein 1000 Grad heißes, orkanartiges Inferno, aus dem es für 35.000 Menschen kein Entrinnen gibt. Sie verglühen oder ersticken. In einem vier Kilometer umfassenden Flammenmeer vom Berliner Tor bis nach Wandsbek stehen 16.000 Wohnblocks, in denen 400.000 Menschen leben, in Flammen. Erst als es nach fünf Stunden in dieser Gegend so gut wie nichts Brennbares mehr gibt, lässt der „Feuersturm“ nach. Die Stadtteile Hamm, Hammerbrook und Rothenburgsort haben aufgehört zu existieren.

Nichts ist mehr wie vor dem Krieg

Atmen, Essen und Trinken – viel mehr gibt es nicht, das die übrig gebliebenen Fußballer nach der Befreiung vom Faschismus eher tun, als wieder gegen Bälle zu treten – sofern sich welche auftreiben lassen. Schon im Spätsommer 1945 wird im weitgehend zerstörten Hamburg vereinzelt bereits wieder gekickt, in der seit Herbst gespielten Qualifikationsrunde zur Bildung neuer Ligen belegt der RFK in der Staffel B Rang drei von acht Mannschaften. In der anschließend in einfacher Runde ausgespielten ersten hamburgischen Nachkriegsspielrunde qualifiziert er sich als Gewinner der Elbe-Staffel der 1. Klasse Hamburg für die Stadtliga, Hamburgs neue oberste Liga.

Doch nichts ist mehr wie vor dem Krieg. Weder Rothenburgsort noch Hammerbrook werden in ihrer ursprünglichen Funktion als dichtbesiedelte Wohnquartiere wieder aufgebaut. Ohne Menschen aber keine Sportvereine. Die betroffenen Klubs ziehen daraus ihre Konsequenzen: Zunächst tut sich der RFK mit dem Rothenburgsorter TV 1880 zum SV Hamburg-Rothenburgsort 1880 zusammen und am 22.März 1947 wird daraus gemeinsam mit Komet 08 der TuS Hamburg.