„Norderstedt hat sich in diesem Fall dem HFV unterzuordnen“

Das Norderstedter Pokal-Aus und seine Nachwehen

19. Oktober 2017, 13:10 Uhr

Eintracht-Präsident Reenald Koch verließ sich auf die Auskünfte vom NFV-Sportgerichts-Vorsitzenden Uwe Dittmer. Foto: KBS-Picture

Zwei Jahre in Folge war Eintracht Norderstedt rein sportlich betrachtet im ODDSET-Pokal nicht zu stoppen. Der ligenhöchste Teilnehmer triumphierte sowohl im Jahr 2015 (4:1 n.V. gegen Altona 93) als auch 2016 (2:1 n.V. gegen HR) und durfte sich anschließend über „hohen Besuch“ aus Fürth und Wolfsburg freuen. Doch nun hat der erneute Angriff auf Hamburgs „Pokal-Krone“ – nach 19 Siegen am Stück – ein jähes Ende gefunden. Und das am grünen Tisch! Der 6:4-Erfolg nach Elfmeterschießen beim Niendorfer TSV wurde nun in eine 0:3-Niederlage umgewertet – sowohl das Sport- als auch das Verbandsgericht des HFV erkannten ein klares Verschulden des Regionalligisten, der den Spieler Philipp Koch nach seiner Roten Karte im Ligaspiel in Flensburg drei Tage später im Pokal nicht hätte einsetzen dürfen.

Uwe Dittmer kam alles andere als gut weg. Der Vorsitzende des Sportgerichts im Norddeutschen Fußball-Verband ist mehr oder minder für das Aus von Eintracht Norderstedt verantwortlich – neben dem Viertligisten natürlich selbst. Die telefonische Auskunft, die Dittmer, der Staatsanwalt ist und im NFV-Präsidium sitzt, EN-Präsident Reenald Koch erteilte, hatte keinerlei Grundlage. „Gehen sie mal davon aus, dass ihnen der Staatsanwalt und Rechtsbeistand, in diesem Fall Herr Dittmer, eine falsche Auskunft erteilt hat. Dann ist das für ihn, weil er es vielleicht nicht genau wusste, vermeidbar und er hat diese falsche Auskunft selbst zu vertreten. Damit haftet auch derjenige, dem er diese Rechtsauskunft erteilt hat“, urteilte Thomas Zeißing, Verbandsgerichts-Vorsitzender des HFV, bei der Verhandlung. Denn im BGH heißt es: „Sofern der Schuldner zu einer eigenständigen rechtlichen Beurteilung nicht in der Lage ist, muss er Rechtsrat einholen; für ein etwaiges Verschulden seines Rechtsberaters hat er nach § 278 BGB einzustehen (Senatsurteil vom 30. April 2014 - VIII ZR 103/13, aaO mwN), wobei für einen unverschuldeten Rechtsirrtum des Rechtsberaters dieselben strengen Grundsätze wie für den Schuldner selbst gelten.“ Konnte sich Norderstedt auf eine gefestigte Rechtssprechung des BGH verlassen? Zeißing: „Nein, denn es gab keine!“ Dem stimmte sogar Eintracht-Anwalt Sven Piel zu: „Das würde ich auch so sehen, ja.“ Woraufhin Zeißing entgegnete: „Somit sind wir beim Wortlaut der Spielordnung – und dieser ist eindeutig. Der Spieler ist bis zur Entscheidung durch die zuständige Instanz gesperrt.“

"Anzuwenden ist das Hamburger Regelwerk, sie haben aber das norddeutsche abgefragt"

Eine weitere Frage, die sich stellt: Hat sich Norderstedt, in Person von Präsident Reenald Koch, überhaupt bei der richtigen Instanz erkundigt? Der Spieler Philipp Koch sah die Rote Karte zwar im Regionalligaspiel, doch das Pokalspiel beim Niendorfer TSV ist nun mal dem Hamburger Fußball-Verband zuzuordnen. Hätte in diesem Fall der HFV als Ansprechpartner dienen müssen – und nicht der NFV? „Norderstedt hat Zweifel, deswegen hat man sich ja auch Rat eingeholt. Aber damit kommt es schon zum ersten Problem“, so Niendorf-Anwalt Klaus Weiss, der erklärend ausführte: „Wen haben sie gefragt? Anzuwenden ist das Hamburger Regelwerk, sie haben aber das norddeutsche Regelwerk abgefragt. Damit haben sie offenbar die Falschen erwischt!“ Auch in der Urteilsbegründung hieß es später: „Man hätte sich entsprechend anderweitig erkundigen müssen.“

Die Erklärung der Garstedter? „Der Norddeutsche Fußball-Verband ist für uns zuständig“, meinte Reenald Koch. In diesem Fall aber wohl eher nicht. Piel gab derweil zu Protokoll: „Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wen man noch hätte fragen können? Natürlich legen wir die norddeutsche Fußball-Regel aus. Die Sperre oder das, was daraus folgt, bezieht sich auf den Hamburger Fußball – aber die grundsätzliche Sperre erfolgte in der Regionalliga.“ Richtig, die Sperre bezieht sich auf den Hamburger Fußball. NTSV-Anwalt Weiss fügte an: „Ich bin ganz überrascht und sowas kenne ich nicht, wie hier argumentiert wird. Da wird mal eine Entscheidung, obwohl es eilt, mal eben so aus dem Ärmel geschüttelt. Ich kann auch die Antwort auf die Frage ‚Was hätte man denn machen sollen‘ geben – denn das ist relativ einfach: Wenn ich Zweifel habe, dann soll er nicht spielen.“

Koch: "Zu dem Zeitpunkt, wo ich ihn gefragt habe, war es für mich rechtsrelevant"

Jörg Stehn, der beim NTSV als Hauptsponsor tätig ist und neben Klaus Weiss als Rechtsvertretung zugegen war, begründete Niendorfs Protest: „Das Urteil des Hamburger Sportgerichts ist für uns glasklar in Bezug auf die Faktenlage und die Statuten. Unserer Meinung nach ist Eintracht Norderstedt seiner Sorgfaltsflicht und Eigenverantwortung nicht nachgekommen. Es ist ein unstrittiger Sachverhalt. Gerade auch vor dem Hintergrund, um wie viel Geld es im Pokal geht – und Norderstedt hätte eine sehr große Chance, den Wettbewerb zu gewinnen –, hätte man den Spieler bei den klaren Statuten nicht einsetzen dürfen. Die Auskünfte der Herren Dittmer und Stebani im Vorfeld des Pokalspiels haben nur informellen Charakter.“ Piel gestand unterdessen: „Als Jurist bin ich auch anderer Meinung und hätte das vor dem Spiel anders betrachtet“, allerdings „muss dem Verein so etwas ja auch abgenommen werden, dass es nicht nötig sein muss und kann, mehrere Spielordnungen aus mehreren Verbänden zu betrachten, um eine 100-prozentige Rechtssicherheit zu haben.“ Reenald Koch betonte noch einmal in Bezug auf Herrn Dittmer: „Jetzt wird man natürlich sagen: Schön blauäugig. Und ich muss jetzt im Nachhinein ja auch feststellen, dass die Auskünfte nicht rechtsrelevant waren. Aber zu dem Zeitpunkt, als ich ihn gefragt habe – und das war am 2. Oktober –, war es für mich rechtsrelevant. Sonst hätte ich den Spieler ja nicht eingesetzt.“ Abschließend erklärte Niendorf-Manager Carsten Wittiber: „Es gibt eine Rechtsgrundlage, nach der man sich richten und orientieren muss. Die haben wir in Anspruch genommen und voll ausgeschöpft. Jeder Verein muss sich danach richten. Auch Eintracht Norderstedt hat sich dem Hamburger Fußball-Verband unterzuordnen – und in diesem Fall nicht dem Norddeutschen.“

Das Urteil im Wortlaut