Holsten-Pokalfinale

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass das eines der geilsten Holsten-Pokalfinals aller Zeiten war!“

19. Mai 2024, 20:33 Uhr

Da ist das Ding! Nach der Landesliga-Meisterschaft feiert der Hamburger SV III auch den Pokalsieg und holt auf dramatische Weise das Double im Derby. Foto: Christian Küch

„Ich glaube, die Leute, die heute da waren, die haben es nicht bereut.“ Denn: „Es war alles dabei“, brachte es Stefan Gehrke trocken auf den Punkt – und fasste das hochkarätige, turbulente und überaus dramatische Holsten-Pokalfinale (alle Highlights im LIVE-Ticker) vor 1188 Zuschauern im Stadion Hoheluft im Zeitraffer zusammen: „In der ersten Halbzeit musst du das eher klarmachen, in der zweiten Halbzeit hast du sogar zwei-, dreimal Dusel. So entwickelt sich ein echter Pokal-Fight. Eigentlich hast du sie erledigt, aber innerhalb von vier Minuten auch wieder reanimiert. Und dann wird es schwer, weil das gute Jungs sind, die geil aufs Kicken sind. Trotzdem drehst du das Spiel wieder, bringst es aber nicht über die Ziellinie. Und dann ist es in so einem Spiel, wo eine Liga dazwischen nichts zu sagen hat, einfach schwer.“

Der Trainer des Hamburger SV III gab ebenso umwunden und ehrlich zu: „Wenn die das Elfmeterschießen gewonnen hätten, dann hätten die sich das aufgrund ihrer Mentalität und ihres Willens auch verdient. Die haben das geil gemacht und ich weiß auch nicht, warum die in der Bezirksliga im Niemandsland gelandet sind. Heute waren zwei Mannschaften auf dem Platz, die das verdient hatten.“ Aber: „Wir hatten ein bisschen mehr Glück und sind jetzt Double-Sieger“, kannte der Jubel bei Gehrke und seinen Mannen nach dem Elfmeterkrimi keine Grenzen mehr. „Auf der einen Seite war ich schon grau, auf der anderen kommen jetzt noch mehr graue Haare dazu und oben fallen sie aus“, witzelte der Aufstiegstrainer in Bezug auf die Dramatik der Partie.

"Ein großartiger Fight von beiden Mannschaften"

Überragender Rückhalt bei den Kiezkickern: Jannik Burkhardt (re.), der etliche Chancen vereitelte, den 3:3-Ausgleich mitvorbereitete und per Elfer selbst traf. Foto: Küch

Während sein Gegenüber „ein paar Tränen verdrücken musste“, aber mächtig stolz auf seine Truppe sein konnte. Denn der Außenseiter vom FC St. Pauli III trug einen ganz gehörigen Teil dazu bei, dass Marius Breuch, der zusammen mit Christian Köpke ein Trainer-Gespann bei den Kiezkickern bildet, die Erkenntnis fassen durfte: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass das eines der geilsten Holsten-Pokalfinals aller Zeiten war! Auch mit der Kulisse. Danke an alle im Drumherum, die das möglich gemacht haben“, sah er einen „großartigen Fight von beiden Mannschaften“, in dem sowohl die eine als auch die andere Mannschaft zwischendrin schon wie der Sieger aussah.

Mit der letzten Aktion: Boekhoff hievt Kiezkicker ins Elferschießen

Dominik Jordan (li.) durfte in einem seiner letzten Spiele als Aktiver für die Rothosen das Double bejubeln. Foto: Christian Küch

Auf der einen Seite verpasste Sepehr Nikroo die Vorentscheidung. Im direkten Gegenzug kam Timon Engelmann gegen Sebastian Plum zu spät. Der Kiezkicker holte nach einem Zupfer ans Trikot einen letzten Freistoß in der gegnerischen Hälfte heraus. Diesen schlug der aufgerückte und bis dato überragende Torwart Jannik Burkhardt aus dem rechten Halbfeld in den Strafraum, wo das Spielgerät nach einem Kopfball-Pingpong zwischen Rothosen-Verteidiger Niel Lüthje und Florian Kühne zu Moritz Boekhoff kam, dessen Direktabnahme aus der Drehung im langen Eck einschlug – 3:3 (90. +5)! Kollektive Ekstase beim Underdog! Das Elfmeterschießen musste einen Sieger ermitteln.

St. Paulis nimmermüder Dauerläufer dreht das Spiel

Martin Fedai (Mi.) glänzte als Doppeltorschütze für den Oberliga-Aufsteiger. Foto: Christian Küch

Doch bis dahin war es ein weiter Weg. In der torlosen ersten Halbzeit hat Kiezkicker-Keeper Burkhardt seinem Team „den Arsch gerettet“, wie Breuch befand. „Aber das war uns klar, dass der HSV die Qualität hat, zu Chancen zu kommen, und wir nur über ein schnelles Umschaltspiel kommen können.“ Die Räume waren mehrfach da, der Hammonia-Meister wirkte alles andere als sattelfest – doch oft traf man die falschen Entscheidungen.

In den zweiten 45 Minuten wurde es dann turbulent und torreich. Martin Fedai eröffnete den Reigen nach einer flachen Hereingabe von Artur Krüger, die Sebastian Schmalbach erreichen sollte, im Nachsetzen zur Führung (53.). Aber der Außenseiter zeigte sich davon gänzlich unbeeindruckt. Binnen 240 Sekunden wurde das Geschehen auf den Kopf gestellt. Und gleich zweimal hieß es: Mats Kosuck auf den nimmermüden Mahmoud Mohamed Hassan – 2:1 für den Bezirksligisten (55., 59.)! „Der HSV hat großartige Einzelspieler und ein super Spielsystem, mit dem sie zurecht Meister geworden und auch als Favorit ins Spiel gegangen sind. Wir haben uns die Mannschaft in verschiedenen Settings angeguckt und wussten, dass wir sie hinten knacken können, weil sie sehr risikoreich im Eins-gegen-Eins verteidigen. Das war die Schwachstelle, die wir ausgemacht haben und die uns auch in Führung gebracht hat“, konstatierte Breuch.

"Haben das 3:1 auf dem Fuß und kriegen im Gegenzug das 2:2"

Der Doppelschlag schien Wirkung hinterlassen zu haben. „Wir haben das 3:1 auf dem Fuß und kriegen im Gegenzug das 2:2. Das war schon richtig bitter, weil wir auf keinen Fall wollten, dass die kontern können. Da sahen wir nicht gut aus“, haderte Breuch, dessen Schützlinge die Konter nicht zum möglichen dritten Treffer abschlossen – und stattdessen den Ausgleich schlucken mussten. Von Engelmann angespielt, zog Fedai im Zentrum auf und aus gut und gerne 27 Metern einfach mal ab. Was anfangs ein wenig nach purer Verzweiflung aussah, entwickelte sich zu einem unglaublichen Strahl, der im linken Winkel einschlug (75.)! Als noch drei Minuten auf der Uhr waren, war es Dominik Jordan, der mit seinem perfekt getimten Flugball den eingewechselten Präsidenten Marcell Jansen fand. Vor dem herauskommenden Burkhardt machte er den Ball – mit dem Rücken zum Tor stehend – stark fest und behielt die Übersicht für Nikroo, der aus 16 Metern an sämtlichen Abwehrbeinen vorbei ins linke Toreck traf – 3:2 (87.)!

Ein hochgradig emotionaler St. Pauli III-Coach Marius Breuch. Foto: Christian Küch

„Da muss man dann so ehrlich sein und sagen, dass wir das Ding danach auch ziehen müssen“, so Jordan nach dem „Fifty/Fifty-Spiel, was daran lag, weil wir nicht clever genug waren. Das müssen wir uns ein bisschen anlasten.“ Und: „Man hat schon in der ersten Halbzeit gesehen, dass wir nicht unachtsam sein dürfen. Und dann war es die Restverteidigung, wo wir eben unaufmerksam waren und die verdientermaßen zwei Tore schießen.“ Doch dabei sollte es, wie bereits bekannt, nicht bleiben.

"Will es lieber selbst auf dem Fuß haben"

Im Elfmeterschießen machten Kühne, Plum und Claudio Gonzalez Przygodda mit Riesenglück ihre Hausaufgaben für die Kiezkicker. Während Krüger und Fedai für die HSV-Dritte keine Nerven zeigten. Nun war Michael Ulbricht an der Reihe und scheiterte an Burkhardts Fingerspitzen sowie am Innenpfosten! „Als ‚Micha‘ verschossen hat, dachte ich: Das war‘s jetzt“, gab Gehrke unumwunden zu. „Vor allem, weil ‚Paddy‘ nicht das gemacht hat, was er machen sollte.“ Was Gehrke damit genau meinte? „Er sollte eigentlich zwischendurch immer mal wieder antäuschen und den Schützen in die schwache Ecke zwingen.“ Nach Ulbrichts Fehlschuss war Patrick Tiedje gegen den schwach getretenen Versuch von Marcel Walter zur Stelle.

Nachdem Jansen den Ausgleich herstellte, lief Schlussmann Burkhardt selbst an. „Jannik ist bei uns im Training als Elfmeterkiller bekannt und macht auch gerne selbst mal einen rein, so dass klar war, dass er auch einer der Schützen sein wird“, verriet Breuch, der aufgrund seines „großartigen Kapitäns“ ein gutes Bauchgefühl und seine Equipe vor dem „Shootout“ mit „60:40“ im Vorteil gesehen hatte. Und letztlich musste auch Gehrke eingestehen, dass Burkhardt „sogar den besten Elfmeter geschossen hat“. Staubtrocken jagte er die Kugel in den linken Winkel. Der Druck lag nun auf Jordan, der treffen musste. „Ich war mir sehr, sehr sicher und habe auch von vornherein gesagt, dass ich den Fünften schieße. Denn ich bin eher so ein Typ, der es lieber selbst auf dem Fuß haben will, als es irgendwem anderen zu überlassen. Dann kann ich mir die Schuld selbst geben und muss nicht mit dem Finger auf andere zeigen.“

"Wenn man gewollt hätte, hätte man noch mehr hinbekommen"

Timon Engelmann (li.) verwandelt den entscheidenden Elfmeter zum 9:8-Sieg für den HSV III. Foto: Christian Küch

Auch Jordan blieb ganz cool. Gleiches galt für den Halbfinal-Helden Jonah Hollwege auf der anderen Seite und Lasse Lüttgen – 8:8. Nun war Standard-Spezialist Malte Baumann an der Reihe, donnerte das Leder aber über den Querbalken hinweg! Und so hatte Engelmann die Entscheidung auf dem Fuß – und sorgte für riesengroßen Freudentaumel bei seinen Rothosen! „Wenn du so nah dran bist, so hart darauf hingearbeitet hast und so viel klappt, aber am Ende dieses eine kleine Quäntchen fehlt, dann ist das extrem bitter“, bilanzierte Breuch – und beglückwünschte den HSV III zum Titelgewinn.

Eine große Kulisse sorgte für den angemessenen Rahmen, den Breuch aber nur unterbewusst wahrnahm: „Das ist natürlich mega schön und freut mich für die Spieler. Aber ich war so im Tunnel, dass das Spiel mein Herz auf einem hohen Niveau gehalten hat.“ Die Anhänger des FC St. Pauli ließen ihren Frust über den Tag und die Anstoßzeit des Finals zu Beginn der zweiten Halbzeit mit einem deutlichen Spruchband raus: „Wenn der alte weiße Mann Anstoßzeiten festlegt, leiden alle Fußballfans – sogar der HSV. Danke, HFV!“ In eine ähnliche Kerbe sprang Dominik Jordan: „Für ein Holsten-Pokalfinale war das schon sehr ansprechend und cool. Aber ich glaube schon, dass man noch ein bisschen mehr hinbekommen hätte, wenn man es denn gewollt hätte“, prangerte er den Termin – zeitgleich zum letzten Spieltag in der 2. Liga – an.

Jordans letztes Spiel für den HSV?

Der Hamburger SV III ist Hammonia-Meister und Holsten-Pokalsieger 2024. Glückwunsch! Foto: Christian Küch

Und dennoch hatte der 29-Jährige in einem seiner wohl letzten Spiele als Aktiver allen Grund zum Jubeln. „Ich konzentriere mich schon ein bisschen mehr auf das Trainerdasein. Es war diese Saison ja auch schon etwas schwammig, dass ich dann zum Training gekommen bin, wenn es auch mit dem Training der Damen-Mannschaft gepasst hat. Das wird nächste Saison noch intensiver werden. Aber wenn die Jungs auf einem Freitagabend Hilfe brauchen, dann können sie mich immer anrufen, wenn es zeitlich passt. Von daher würde ich nicht von meinem letzten Spiel sprechen, aber es wird deutlich weniger werden“, legt „Dome“ seinen Fokus auf den Trainerjob bei den Zweiten Frauen des HSV.

Autor: Dennis Kormanjos

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